Die italienische Linke fordert eine europäische Intervention gegen den Judenstaat
[Redaktionell bearbeitete Fassung, veröffentlicht in: Bahamas, Nr. 37, Winter 2002, S. 44-47 (hier geringfügig vom Autor überarbeitet)]
Wie sehr ehemals der „Linken“ vorbehaltene völkische Manien wie der Antizionismus und der Antiamerikanismus mittlerweile die ideologische Produktion der gesamten Gesellschaft bestimmen, läßt sich nicht nur in Deutschland feststellen. Auch in Italien kreist das Zusammenspiel zwischen linker Parolendrescherei und Presseschlagzeile ganz unverhohlen um das „Volk“.
Jegliche soziale Gruppe, und sei sie noch so kontingent, wird dabei als „Volk“ definiert. Diese an sich idiotische Unsitte steht aber im bitterernsten Kontext der sich durch die ganzen 90er Jahre hindurch steigernden Hetze der Mainstream-Medien und des Mobs gegen Sinti und Roma. Eine Hetze, die schließlich auch auf Slawen ausgedehnt wurde, welche als „von Natur aus“ kriminelle (Sexual-)Triebtäter dargestellt werden; eine Hetze, deren scheußlichste Hervorbringung ausgerechnet eine Titelseite der Unità – Parteizeitung des PDS, heute DS, vormals PCI – Anfang der 90er vorstellte: Neben dem fetten Titel „Ich, serbischer Vergewaltiger“ ist ein großformatiges Foto von einem gefoltert erscheinenden Mann plaziert.
Es überrascht also nicht, daß alles, was irgendwie als „linke“ Öffentlichkeit firmiert, sich am Wettbewerb der Volkserfinder beteiligt: vom „Volk der Linken“ ist die Rede, vom „Volk von Seattle“, vom „ Volk Bertinottis“, vom „Volk der centri sociali“, vom „Volk der DS“; aber auch vom „Volk der Alleanza nazionale“, vom „Volk der Lega“. Man steigert sich noch zum „Volk der Badenden“, zum „Volk der Diskotheken“, dem „Volk der Nacht“, bis hin zum „Volk der Schlauchboote“ und zum „Volk der befristeten und Teilzeit-Verträge“.
Das Copyright für die beiden letztgenannten Kreationen hat das wichtigste Organ der italienischen „Linken“: il manifesto. Einst entstanden aus dem linken Flügel des PCI, leitet das Blatt heute das „No-Global-Volk“ – wie es in Italiens Presse inzwischen einhellig genannt wird – maßgeblich ideologisch an. In einem Punkt allerdings hat il manifesto sich nie geändert: Von Beginn an verfolgte die Zeitung akribisch die Untaten des unechten „Global-Volks“ im Nahen Osten. Immer schon lieferten authentische „Betroffene“ die Stichworte der Anklage. Das gilt noch heute. So verkündete am 18. Juli die Sprecherin der arabischen Liga, Hanan Ashrawi, im Interview mit il manifesto, die Regierung von Ariel Sharon führe „auch – und es ist mir wichtig, dies zu unterstreichen – dank des Schweigens Europas und der Komplizenschaft der USA offensichtlich Operationen ethnischer Säuberung durch: Die jüngsten Zerstörungen palästinensischer Häuser sind Verbrechen gegen die Menschheit.“ Nicht nur, daß sich der Interviewer in keiner Weise an den von Ashrawi verwendeten Begriffen störte: Er schob zudem gleich die Frage hinterher, ob es denn ausreiche, die arabischen Länder zu stärken, da diese doch selber „eng mit den USA verbunden“ seien, ob die europäische Politik nicht vielmehr noch weiter gehen müsse. Eine Frage, die zu beantworten Ashrawi sicherlich nicht leichtgefallen ist, mußte sie den Interviewer doch mäßigen: Der Kampf gegen Israel sei nunmal ein langwieriger Prozess, und – welch Eingeständnis – die arabischen Länder müssten erst einmal auch noch wirklich demokratisch werden.
Die regelmäßig für die „kommunistische Tageszeitung“ schreibende Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Luisa Morgantini (Rifondazione Comunista, PRC), vergleicht hingegen auf ihrer Homepage nicht nur mittels eigener früher Kindheitserinnerungen die israelische Armee mit Nazis, die italienische Partisanen verfolgten, sondern macht Israel auch gleich noch für die in Genua angewandte Polizeitaktik verantwortlich: „Ich komme in Genua an, gehe in Richtung jenes Hauses, das mich in diesen Tagen der ‚Globalisierung von unten‘ beherbergen wird. Es befindet sich mitten im Zentrum, gleich hinter der roten Zone, daneben sehe ich einen enormen Metallzaun, schwer, unüberwindlich wie die vielen, die es davon im Stadtzentrum gibt. Hat sich die israelische Politik also globalisiert? Ich denke an den Metallzaun um das Flüchtlingslager von Deisheh und den Zaun des Gazastreifens in Rafah an der Grenze zu Ägypten; Mütter und Kinder, durch die Besetzung im Jahre 1967 getrennt, haben die Grenzen nie überschreiten dürfen, um sich zu umarmen. Die Bürger Genuas, auch sie eingeschlossen wie die zur Umgehung der Metallzäune und der Sperren gezwungenen Palästinenser, werden sich in diesen Tagen nicht bewegen können. Gewiss ist es nicht dasselbe, denn: hier sind die Zäune sauber, neu, gut gebaut, die Soldaten schießen (noch) nicht, auf jeden Fall werden aber auch hier die Menschen zurückgejagt.“ (Hvhbg. R.R.)
Daß tatsächlich in Genua einer der Demonstranten, Carlo Giuliani, erschossen werden würde, konnte Morgantini vorab nicht wissen, präsentierte aber nichtsdestotrotz schon einmal den eigentlichen Verantwortlichen für jede potentielle Leiche: „Es scheint, dass die Reise des Premierministers Ariel Sharon in Italien mit dem Austausch von Komplimenten und warmem Händedruck mit dem Regierungschef Silvio Berlusconi auch zum Austausch von Erfahrungen und Methoden bei der Bewältigung von Problemen der Kontrolle und der Sicherheit geführt hat“. Nicht genug, daß diese patriarchalischen „Nazizionisten“ – wie Anhänger der Gruppe „Socialismo rivoluzionario“ die Israelis nennen – nicht davor zurückschrecken, aus reiner Boshaftigkeit ganze Stadtbevölkerungen festzusetzen und Mütter eiskalt von ihren Kindern zu trennen, obendrein noch schwul zu sein scheinen; nein, wie jeder Antisemit, pardon: Antizionist, „weiß“, ziehen die Juden bei den schlimmsten Dingern, die gerade gedreht werden, auch stets im Hintergrund die Fäden, wenn es oberflächlich betrachtet auch nach dem Gegenteil aussieht: „Ich hatte jedoch nicht den Eindruck, daß Sharon auch die Minister Umberto Bossi und Claudio Scajola getroffen und ihnen davon erzählt hätte, wie die israelische Armee mit der Entwurzelung von Ölbäumen, von Palmen, von Orangenbäumen und Weinbergen [!] die Probleme der Kontrolle über die Bewegungen der Palästinenser in jenen Zonen löst, die sich in der Nähe der Kolonien und der (illegalen) Straßen befinden, die Israel weiterhin in den besetzten Gebieten des Westjordanlands und Gazas baut.“ Nicht nur hinter den Carabinieri steckte Sharon also, er verbirgt sich auch hinter der Maske des nordischen Separatisten Bossi. Alles hängt global miteinander zusammen, aber was alles mit allem verbindet, ist für die „antiglobale Linke“ längst nicht mehr das Kapital und der Staat, sondern Sharon und „seine“ Israelis, der „Jude“ also, der in der Verkleidung als „Umberto Bossi dem Innenminister Claudio Scajola, während sie die vier Grenzübergänge (Sloweniens) nach Italien – in dem Streifen, der die Stadt 54 Jahre lang in Gorizia und Novo Gorica teilte – gemeinsam durchkämmten, (anscheinend) empfohlen (hat), daß jene so stark bewaldete, von Maulbeerbäumen gesäumte Grenze gesäubert werden müsse. Zu viele Immigranten, denen es gelingt, sich zu verstecken und dann die Grenze zu Italien zu überwinden.“
Es ist Leuten vom Schlage Morgantinis völlig gleichgültig, worum es im einzelnen geht: Um Polizeiabsperrungen im Zuge einer Demonstration, um Immigrantenabwehr oder um die Selbstverteidigung Israels gegen antisemitischen Terror. Es gibt stets nur noch geschichtslos Gutes auf der einen Seite – die Natur, die Erde und der Bauer, kurz: der Archetyp des fest in seiner Scholle verwurzelten Volkes, der diese mit zusammengebissenen Zähnen, aber ohnmächtig gegen den Angriff des bösen Widernatürlichen auf der anderen Seite, verteidigt: „Wie traurig und wie entmenschlichend – die Bilder vom Gazastreifen schieben sich bei mir übereinander, die von den entwurzelten Bäumen mit [!] den unbeweglichen Bauern, die sogar unfähig sind zu fluchen, die verletzte Erde und der Illegale, der auf der radarüberwachten, entwaldeten Erde herumstreift.“ Weil auch der „illegalisierte“ Flüchtling gemeinsam mit der Erde und den Maulbeerbäumen ein Opfer der von den Juden zu verantwortenden destruktiven technischen Naturbeherrschung ist, darf auch er zu denen gehören, die von dem – Zäune durch Völker ziehenden und sich selbst hinter Zäunen verschanzenden – Bösen zu Brüdern im Leid gemacht werden. Getötete Juden allerdings kommen in dieser reaktionären Seifenoper nicht vor, Juden sind nur als brutale Täter existent. Die Überlagerung der Bilder – das von den Zäunen im „vom G8 belagerten“ Genua, das vom unbeweglichen Bauern in Palästina und schließlich das vom mittels rationalisierter Überwachungstechnik noch effizienter abgewehrten „Illegalen“ – dient dazu, jede Art durch den Kapitalismus hervorgerufener „Entwurzelung“ – auch Morgantinis eigene effektvoll sentimentalisierte „Entfremdung“ – letztlich den Juden anzulasten. Es ficht sie nicht an, daß dem Flüchtling nicht in erster Linie die Ökologie, sondern das Gelingen seiner Flucht am Herzen liegt, und sie scheut sich auch nicht, den Bauern in Palästina zur „verletzten Erde“ zu versachlichen.
Von Tschetschenien nach Palästina
Die Autoren von il manifesto lassen sich in ihrer bedingungslosen „europäistischen“ Parteinahme „für die Palästinenser“, das „palästinensische Volk“, auch durch blutige Selbstmord-Massaker wie das in der Tel Aviver Diskothek vom 1. Juni 2001 nicht beirren. Nur kurz durfte seinerzeit – man erinnerte sich plötzlich an die Unterstützung des Pol-Pot-Regimes durch „die Linken“ – ein Zweifel aufblitzen, durfte vor dem islamistischen „Fundamentalismus“ gewarnt und der „wahllose Mord an Zivilpersonen“ angeprangert werden. Noch im selben Text jedoch war von dem kürzlich verstorbenen Faisal Husseini, dem nachgesagt wird, noch kurz vor seinem Tod die Vernichtung Israels als sein Ziel bezeichnet zu haben, als einem der „bei der Suche nach einem Weg zu einem wahren Frieden am stärksten engagierten Männer“ die Rede. In derselben Ausgabe von il manifesto berichtete Anna Maria Merlo unter der Überschrift „Mittlerer Orient – Kann Europa wieder eine Rolle spielen?“ begeistert, daß man sich auch auf einem in Paris abgehaltenen europäischen Kongreß – „bei dem man ohne allzu große diplomatische Zurückhaltung sofort zur Sache gekommen war: zur Frage der Entsendung einer internationalen Streitmacht, die eine Pufferfunktion einnehmen soll“ – zugleich vielfach auf diesen „Mann der Vermittlung“ besonnen habe.
Während des Kosovokriegs war die antizionistische Linke Italiens in weit geringerem Ausmaß als die deutsche zu begeistern für Menschenrechtsinterventionen und „Pufferstreitmächte“. Zwar wurde Jugoslawien auch in Italien durch die völkische Brille betrachtet und erschien als widernatürliche Konstruktion, wurde aber eben auch als Gegner des „globalistischen“ Westens, insbesondere der USA, geschätzt. Zu abgetrennten Demo-Blöcken für Serben oder gar zu Prügel für Leute, die jugoslawische Fahnen mitführten, kam es in Italien nicht, ganz im Gegensatz zu heute, wo solche, die es wagen, israelische Fahnen mitzuführen, rabiat verscheucht werden. In unwillentlicher Übereinstimmung mit Sharon befand damals eben auch auch il manifesto, dass es sich bei dem Nato-Angriff auf Jugoslawien keineswegs um eine gute Sache handelte. Man lastete diesen aber hauptsächlich den USA an, stufte die damalige italienische Mitte-Links-Regierung lediglich als allzu hörige volks- und europaverräterische Mitbomberin ein und war damit aus dem antiimperialistischen Schneider.
Auch der russische Nachfolger des ehemaligen „Sozialimperialismus“ reiht sich aus dem Blickwinkel des il manifesto-Spektrums unter die Erd- und Volksschänder ein: Gegen den Tschetschenien-Krieg mobilisierte il manifesto Ende 1999 gemeinsam mit anderen Gruppen wie dem PRC (Rifondazione Comunista), der ARCI (ehemals KPI-Kulturorganisation), Assopace (Friedensvereinigung), Pax Christi und linken DSlern zu einem Sit-in vor der russischen Botschaft in Rom. Hatte man sich nur mäßig für die Sache der Kosovo-Albaner begeistern können, die zwar – was prinzipiell Symphatien bringt – Moslems sind, aber eben – welch unverzeihlicher Makel – von den USA unterstützt worden waren, so rührte sich bei denselben Leuten nun umso heftiger das „europäistische“ Gewissen. Das „Unterschriftenkartell“ und „die Synthese vieler Stimmen, die sich während des Krieges im Kosovo bewegten“, scherten sich wenig um die „wenige[n] politische[n] Argumente“, sondern zeigten „viel menschliche Teilnahme“, was auch Vittoria, die „aus ,persönlicher Verantwortung‘ dabei“ war, super fand: „Die großen Mobilisierungen“ würden schließlich „auf der Welle der Emotionen“ stattfinden. Emotionen, die nach „mehr Koordination unter den Bevölkerungen“ verlangen – in diesem Fall zwischen dem „No-Global-Volk“ Italiens und dem der islamistischen Terroristen Tschetscheniens –, bewegten auch die „Frauen in Schwarz“, die nach „Bewegungen wie [jener] für die Frauen, die ohne parteiische Interessen umfassende Aufmerksamkeit für die Plage des Krieges erregen können“ riefen. Auch Europas Gewissen war dabei: „Luisa Morgantini, Europaparlamentarierin, noch mit dem Koffer an der Hand“, stand da am Straßenrand, und man konnte von ihr sogleich erfahren, daß sie als ethnische Angehörige des „Volks des Denkens und Handelns“ (il manifesto, 31.8.2001) bereits einiges an „Koordination“ in die Wege geleitet habe: „Im Parlament haben wir die Aussetzung der Tacis-Vereinbarung [eines Programms der EU zur technologischen Unterstützung Russlands; R.R.] verlangt, das ist ein wichtiger Schritt, der Konsens stiftet“, sprich neo-völkische (EU-)Gemeinschaft schmiedet: „Der Rat wird in wenigen Tagen dazu Stellung nehmen“. „Derweil“ hatten zudem „die Gruppen, die gestern das Sit-in angesetzt haben, ein ‚Ständiges Komitee für den Frieden in Tschetschenien‘ geschaffen. Ende des Monats wird ein erstes Treffen mit einigen tschetschenischen Frauen stattfinden, um über die Art der (friedlichen) Intervention nachzudenken.“
Zwar ist „Tschetschenien (…) keine italienische Angelegenheit. Wir haben“ – dennoch, schließlich denkt man global – „alle die Verantwortung, an die Personen zu denken, die dort sind“, soll ARCI-Präsident Tom Bettenello bei der selben Demonstration gesagt haben. Was für Tschetschenien gilt, wie sollte das nicht erst recht für Palästina gelten, das unter dem „zionistischen“ Joch doch seit Jahrzehnten stöhnt! Häufiger denn je trifft sich zwischenzeitlich das „Volk des Denkens und Handelns“, getragen von jener „Welle der Emotionen“, immer lokal, immer von unten. Beispielsweise am 31. August in Rom, wo „heute Abend von 19 bis 21 Uhr (…) auf der Piazza Campo di Fiori ein Sit-in für einen internationalen Einsatz zum Schutz des palästinensischen Volkes unter der israelischen Besatzung veranstaltet werden (wird)“, zu dem das gewohnte „Unterschriftenkartell“ im Verein mit der palästinensischen Gemeinschaft in Italien und dem „Comitato Al Awda“ aufrief. Dieses „Comitato“, bezeichnenderweise von Noam Chomsky mitbegründet, unterzeichnete neben dem zitierten Aufruf auch eine Erklärung, in der von nichts geringerem als vom „Verbrechen des Jahrhunderts, begangen von der zionistischen Bewegung zum Schaden des palästinensischen Volkes“ die Rede ist. Eine Erklärung, in der nur der Ball aufgenommen wurde, den il manifesto mittels seiner Berichte vom antizionistischen Weltkongreß in Durban ins Spiel gebracht hatte: „Es gibt Schilder mit dem Davidstern neben einem Hakenkreuz; ein Poster besagt: ‚Besatzung gleich Kolonialismus gleich eine neue Form der Apartheid‘. Die Union der arabischen Anwälte verteilt eine Broschüre auf arabisch, französisch und englisch, um mit Argumenten zu belegen, warum der Zionismus eine Form des Rassismus ist. ‚Das zionistische Projekt ist ein Projekt auf religiöser Grundlage, nur für die Juden. Daraus ergibt sich, dass es alle übrigen, die Nicht-Juden, die Minderwertigen, ausschließt‘, erklärt Imam Gad, Forscher in Politischen Wissenschaften, Ägypter“ – und stellt damit universalistisch klingende Ideologie für den völkischen Kampf bereit. „Die Zionismusfrage gehört zu jenen Fragen, die seit den ersten Vorbereitungstreffen diese Konferenz ins Rampenlicht gestellt haben. Im offiziellen Sprachgebrauch steht die Gleichung zwischen Zionismus und Rassismus außer Frage [!], und die Menschenrechtskommissarin der UNO Mary Robinson hat sich (bislang vergeblich) dafür eingesetzt, nach Kompromißformeln zu suchen: Hinweise auf die ‚Politiken der Diskriminierung‘ gegenüber der palästinensischen Bevölkerung, Hinweise auf das Leid der Palästinenser. ‚Das reicht nicht, das politische Projekt Zionismus muß verurteilt werden‘, sagt Gad.“ Und nicht weniger fordert die „kommunistische Tageszeitung“ von den Regierungen der Welt: „Man wird sehen, ob und inwieweit die Konferenz der Regierungen das Forum der Bewegungen anhören wird.“ (il manifesto, 31.8.2001)
Sozusagen den italienischen Joschka Fischer im Wartestand gibt Adriano Sofri, Mitbegründer von Lotta Continua und Ikone der Ära des militanten Kampfes im Italien der 70er Jahre. Kaum aus langjähriger Haft entlassen, hatte er sich zunächst für das unabhängige Bosnien und dann für die Selbständigkeit Tschetscheniens stark gemacht. Nunmehr – inzwischen wieder im Gefängnis – gibt er zwar zu bedenken, daß die allenthalben geforderte Rückkehr sämtlicher von der PLO als solche definierten palästinensischen Flüchtlinge das Ende Israels bedeuten würde, bietet sich aber recht staatsmännisch als völkischer Vermittler in der „Israel-Frage“ an. Israel solle nicht direkt zerschlagen werden, aber unter die Kuratel der EU statt unter den Schutz der USA gestellt werden: „Es gelingt mir nicht, die Lage Israels in der Welt, die es umgibt, entweder allein auf den Aspekt der militärischen Überlegenheit oder auf den der Bedrohung seines Existenzrechts zu reduzieren: Der Nexus zwischen beiden ist es, der das israelische Paradox kennzeichnet, und die Art und Weise, in der es uns betrifft. Aus diesem Grunde scheinen die Israelis zwischen den beiden Extremen des totalen Krieges und der Verzweiflung zu schwanken. Sie aus jenen herauszuholen, sollten wir, die Europäer, einen Beitrag leisten, während wir uns in ihrem Spiegel betrachten.“ (il manifesto, 30. Juni 2001)
Damit suggeriert Sofri, daß der „Nexus“ zwischen der militärischen Überlegenheit Israels und der Bedrohung seines Existenzrechts Israel eben in seiner Existenz bedrohe; daß also der Grund der Bedrohung Israels von Israel selbst zu verantworten sei, weil es eben militärisch überlegen und wahrscheinlich deswegen allzu arrogant sei. Sofri schreibt den Israelis, den „Spiegelbildern“ der Europäer der kolonialistischen und faschistischen Ära, damit schon vorsorglich die Schuld dafür zu, dass er und geläuterte „Europäer“ die paradoxerweise einerseits Verzweifelten und andererseits zu hoch Gerüsteten notfalls gern auch mittels Bodenkrieg aus solcherlei Extremen herausholen müßten. So wie Fischer in den Serben die „Fratze der eigenen Geschichte“ gesehen hatte, zielt auch Sofris herrenmenschliche Verzweiflung auf einen Präventivkrieg gegen die „europäische“ Vergangenheit, die jetzt in Israel inkarniert; es müsse gehindert werden, einen „totalen Krieg“ zu führen. Daß il manifesto Shaul Mofaz, den Stabschef der israelischen Armee, in „Dottor Stranamore“ umbenannt hat, also nach dem Namen des vernichtungsgeilen, rassistischen, atombombenbesessenen General des Films „Doktor Seltsam oder wie ich lernte, die Bombe zu lieben“, ist, nebenbei gesagt, auch auf diesem Mist gewachsen.
Auf einer kaum beachteten Tagung zur Revision der Geschichte, die nach dem 11. September in Triest stattfand, ist Israel ebenfalls die Absicht unterstellt worden, auf einen „totalen“ Krieg aus zu sein, ganz so, als wäre dieser nicht bereits vor Jahrzehnten gegen die „Juden“ geführt worden. In der antizionistischen Einigkeit des „No-Global-Volk“ verschwinden eben die Widersprüche der Vergangenheit. Eine Einigkeit, die auch faschistische Fußballfans der Hauptstadt demonstrierten: Ihr Transparent trug die Aufschrift: „Verschiedene Ideale (…) Ehre für Carlo Giuliani“ (jungle world, 5.9.2001).
Blut und Erde contra Geld und Macht
Der Haß gegen das Nicht-Verwurzelte, Nicht-Völkische ist gegen den Einspruch allein nur beobachtender Verstandestätigkeit vollkommen gefeit. Keinen Anstoß nimmt il manifesto daran, daß die PLO „ihre“ in aller Welt verstreut lebenden palästinensischen Flüchtlinge zur Heimatscholle zurückführen möchte, das schlesische Prinzip also im Nahen Osten verfolgt. Umso mehr erregen sie sich aber darüber, daß diese Scholle „nicht jenen gehört, die in Palästina geboren sind,“ – was ja auch für einen Teil der „Palästinenser“ gilt – „sondern jenen, die überall auf der Welt der jüdischen Religion anhängen“, so daß „der in Brooklyn geborene Kolonist in Palästina leben darf, während die Palästinenser aus Jaffa unter untermenschlichen [!] Bedingungen in den im Mittleren Osten verstreuten Flüchtlingslagern leben“ (il manifesto, 10. August 2001). Daß diese Lager allenfalls beweisen, wie schlecht die Palästinenser von ihren „Brüdern“, der PLO und den Arabern, im allgemeinen behandelt werden, sehr viel schlechter übrigens als von den Israelis, kümmert sie nicht. Die Verbindung von „Lager“ mit „Juden“ ist zu unwiderstehlich: Gilt es doch, den „privilegierten“ Juden, die den „Europäisten“ der Naziherrschaft nicht einmal als Untermenschen, sondern als „Widersacher jedes Menschentums“ (Hitler) galten und als solche vernichtet wurden, zu unterstellen, dass sie den Nazis ähnlicher seien als die Nazis selbst, nicht Opfer, sondern doch auch bloß Täter seien. Fakten wie die, daß Israel mehr denn je aus Furcht vor Selbstmordattentaten einem Groß-Ghetto sich angleichen muß, daß es auch Palästinensern, darunter Jugendlichen, die nicht mit der Hamas oder anderen Gotteskriegern kollaborieren, oftmals an den Kragen geht, all das kann die völkische Rage nicht hemmen.
Nicht nur schreien die „schrecklichen Lebensbedingungen“ der Palästinenser „weiterhin nach Rache“, verlangen geradezu nach „Auge um Auge“, um „die Toten auszugleichen“ (18.8.2001), kräht die Politikberatungsagentur von PLO und Hamas: Zudem wird die „Wiederannäherung“ zwischen Arafat und dem syrischen Präsidenten Bashar Assad bejubelt und frohlockt, daß „das Klima für diejenigen, denen Kriegsverbrechen vorgeworfen [!] werden, sich verändert hat.“ – als ob nicht Arafat, Assad und dessen Vater selber Verbrecher eines schmutzigen, unerklärten Krieges wären. So klopft man sich selbst die Schulter, weil „die palästinensischen und libanesischen NGOs“, die, indem sie einen dahingehenden Vorschlag von il manifesto aufnahmen, inzwischen „einen ‚Tag der Erinnerung‘ ausgerufen“ hatten, um „des Massakers von 1982 zu gedenken“. Gedacht wird an diesem Tag zukünftig selbstverständlich nicht den 20.000 Menschen, die dem von Assad Senior höchstpersönlich angeordneten Bombardement der nordsyrischen Stadt Hama zum Opfer fielen (jungle world, 18.7.2001), sondern denen, die bei dem von christlichen Milizen begangenen Massaker von Sabra und Shatila zu Tode kamen. Massaker, von denen verkündet wird, daß das israelische Regierungsoberhaupt sie angeblich wissentlich geduldet habe, da selbstverständlich „der Absicht Sharons nach der Libanon von den Palästinensern und von der PLO ethnisch [!] ‚gesäubert‘ werden sollte“.
So unverblümt antiisraelisch sich zu äußern, getraut sich die offizielle Politik nicht, wenngleich auch sie kaum noch ein Blatt vor den Mund nimmt. Obwohl beispielsweise am 6. September 2001 der rechtsliberal-katholische Präsident der italienischen Abgeordnetenkammer, Pierferdinando Casini (CCD-CDU), nicht ohne zuvor politisch korrekt „Respekt“ für Israel zu heucheln, „bedingungslose Hilfen für die Palästinenser“ forderte und sich dafür aussprach, „Israel auf den Weg des Friedens zu zwingen“, hält sich das „No-Global-Popolo“ vom Torino Social Forum immer noch für oppositionell: „Wir verurteilen die Politik der bedingungslosen Unterstützung der italienischen Regierung für die israelische Regierung“, schrieben sie in einer „Absichtserklärung“ (il manifesto, 8.9.2001). „Schluß mit dem komplizenhaften Schweigen, Schluß mit dem Massaker an wehrlosen Menschen“, hieß es einen Tag bevor nicht etwa Massen von Palästinensern, sondern „in drei Angriffen innerhalb einer Zeitspanne von fünf Stunden fünf Israelis getötet und 84 verletzt wurden, wobei zwei der Angriffe innerhalb Israels stattfanden“ (Ha’aretz, Online-Ausgabe, 10.9.2001) und drei Tage vor dem 11. September. Il manifesto feuerte das empörte „linke Volk“ noch zusätzlich an: „Es stimmt nicht, daß in diesem Augenblick die ‚Bewegung der Bewegungen‘ ‚nur‘ damit beschäftigt ist, über Genua nachzudenken, es stimmt nicht, daß es nur die außerordentlichen Termine des Protests zum Nato-Gipfel in Neapel (…) und der FAO gibt. Dies läßt das Torino Social Forum klar und deutlich ausrichten, das heute für Palästina auf die Straße gehen wird.“ Was der eingebildete Souverän ausrichten läßt, wird sowohl der Faschist als auch der christdemokratische Parlamentspräsident verstehen: „Die Absichtserklärung“ des Torino Social Forum ist auch im Hinblick auf den Nato-Gipfel in Neapel klar: Die Globalisierungspolitik des „Kriegsverbrechers“ – so wird der Israeli Sharon definiert – müsse gestoppt werden, weil sie, wie in einer Pressemitteilung zu lesen ist, „die natürlichen (Wasser, Erde, Erdöl) und die menschlichen Ressourcen auf Kosten der Völker der Region ausbeutet“.
Und wer durfte bei diesem Aufzug gegen den ewigen Globalisierer Sharon und die übrigen Juden, die den Völkern, solange sie sie nicht vergiften, das Wasser abgraben und deren ureigenstes Erdöl anzapfen, „an der Spitze des Zugs“ stehen? Die Europarlamentarierin Luisa Morgantini (s. il manifesto, 8.9.2001). Wie aktiv und breitgefächert die „Bewegung der Bewegungen“ werden kann, sobald es Demos gegen Israel, nein, halt, besser, „Solidaritätsmärsche“ für die Palästinenser gibt! Selbst die – ehemals kommunistische – Gewerkschaft CGIL lud eine Woche nach den geschilderten Ereignissen ihre Mitglieder ein, an solcherart Manifestationen „aktiv teilzunehmen“. Doch damit nicht genug: „Die CGIL hat sich (…) entschlossen, nach den Ereignissen von Genua als Bezugspunkt zu fungieren, um im Dialog zwischen den Bürgern und den Ordnungskräften (insbesondere mit den Mitgliedern der Polizeigewerkschaft der CGIL als Protagonisten) zu vermitteln, und ‚die Ablehnung von Gewalt als Mittel politischer Auseinandersetzung bekräftigt.“
Nach den Anschlägen vom 11. September durfte dann der „große Bruder des kleinen Teufels“, die USA, im linken Weltverschwörungsszenario endgültig nicht mehr fehlen. Am 22. September bemerkte Rossana Rossanda, eine der Mitbegründerinnen von il manifesto und eine der bekanntesten Figuren der „Neuen Linken“ Italiens, daß sich „diejenigen von uns täuschten, die dachten, daß die kapitalistische Vereinigung aus den USA ein – sei es auch weniger [!] gebildet als das, welches schon Tacitus nicht gefiel – Imperium machen würde, das jedoch eine assimilierende und vermittelnde Rolle spielen würde“. Und sie fragte: „Wird man mich eine Antiamerikanerin nennen?“ – um trotzig zu verkünden: „Ja, ich bin es, und ich bin erstaunt, daß viele Freunde, die es in der Vergangenheit mehr als ich waren, so sehr zögern, es zu sein“. Ein Bekenntnis, dem, wie viele Leserbriefe zeigten, sogleich tausend neue, wenig Zögerliche beisprangen. „Ich bin Antiimperialistin, ein weiteres Wort, das mit einem Bann belegt ist.“ George W. Bush dagegen sei „ein gefährlicher Verrückter, er wird nicht den Djihad treffen, sondern viele Leute ohne Schuld, und die Vereinigten Staaten dazu treiben, so zu leben, daß sie die Welt belagern und von ihr belagert werden.“ So und nicht etwa umgekehrt.
Rossanda, die vor nicht allzu langer Zeit noch gerade dem archaischen und antimodern scheinenden deutschen ius sanguinis entgegentrat, schrieb damit die trotzige Identifikation des „Volks der Linken“ mit den antisemitischen Aggressoren und deren „revolutionäre[n] Tugenden archaischer Identitäten“ nochmals programmatisch fest. Tugenden, die, wie sie ausführte, „uns als lobenswert erschienen, weil sie antimodernistisch waren“. Das Lob alles Archaischen gehört zum Programm der Wiederaufwertung Deutschlands, das gerade die italienische Linke, und damit auch il manifesto-Schreiber und -Schreiberinnen, verfolgen. Wahrhaft tolle, aber ernstgemeinte Titel wie: „Dannazione Sharon“ („Verdammnis Sharon“) und „Superiorità germanica“ sprechen deshalb für sich, weil mit „Deutsche[r] Überlegenheit“ nichts anderes gemeint ist, als die politisch-moralische Überlegenheit der Deutschen, die sich eben darin zeige, daß sie die richtigen Lehren aus Faschismus und Nationalsozialismus gezogen hätten. Und dieser urdeutsche Artikel wurde ausgerechnet am 1. Dezember 2001 veröffentlicht, als die Polizei vor einer Synagoge in Berlin Juden und Linke gleichermaßen attackierte.
Ende Dezember letzten Jahres, nachdem auch der Papst die Juden endlich wegen Herzlosigkeit gegen ihre erklärten Todfeinde gemaßregelt hatte, konnte man den manifesto-Kurznachrichten sogar entnehmen, daß endlich eine europäische Vorhut, Sofris Wunsch gemäß, in Israel einmarschiert war – und sich damit als die wahren Juden gegenüber den falschen Juden, den „Nazizionisten“, erwiesen hatten. Diese gingen mit „israelischem Gas [!] gegen pazifistische Europäer“ vor, „darunter viele Italiener, an ihrer Spitze Luisa Morgantini“, die einen israelischen Checkpoint gestürmt hatten. Ihr moralisches Mandat findet sich auf derselben Seite: ein „vom Freundschaftsverein Italia-Palestina, von CGIL, CISL, UIL, FIOM, FIM, UILM, ATTAC, ARCI, APASCI, ACLI und vom Brescia Social Forum“ verantworteten „Appell zur Beendigung der Gewalt und für eine Pufferstreitmacht in Israel-Palästina“. Noch am selben Tag bekundeten die in diesem Aufruf vertretenen großen Gewerkschaften Traditionsbewußtsein im staatsproletarischen Kampf gegen das Weltjudentum: Sie riefen die Arbeiter in Brescia zu einem „Fackelzug“ gegen Israel auf.