Warum pullert Alan Posener Sarah Palin an?

Stellen Sie sich vor, Sie hätten sich aus irgendeinem Grunde seit langer Zeit unwiderruflich mit Ihren Geschwistern und mit Ihren Eltern entzweit und lebten tausende Kilometer von diesen entfernt, würden aber hin und wieder über andere Verwandte noch etwas über sie erfahren, und so zu Ihrem Bedauern unter anderem auch davon, dass der Ex-Ehemann Ihrer Schwester während ihrer Trennung von ihm ihr wohl sehr “wehgetan” haben musste und nicht nur sie, sondern auch andere ihr nahestehende Personen im Verlauf der Trennung massiv bedroht hätte.

Stellen Sie sich weiterhin vor, Sie seien seit langem bei der Polizei angestellt und seit kurzem sogar zum Polizeipräsidenten bzw. zur Polizeipräsidentin ernannt worden und hätten gerade von einer “polizeiinterne(n) Untersuchung” erfahren, aus der hervorgehe, dass ein bestimmter Polizist in Ihrem Zuständigkeitsgebiet “mehrerer Verletzungen [des Gesetzes] schuldig sei – der Verwendung einer Elektroschockpistole gegen seinen [nach anderen Meldungen zehnjährigen] Stiefsohn, der Trunkenheit im Dienst, der Bedrohung seines damaligen Schwiegervaters” (Anchorage Daily News, zit. n. telegraph.co.uk) sowie des Abschusses eines Elches in Alaska, ohne dass er einen Jagdschein gehabt hätte.

Stellen Sie sich vor, Sie seien nicht die Tierschützerin Brigitte Bardot, deren Rage angesichts der Elchtötung allein sie wahrscheinlich schon dazu bewogen hätte, mindestens ein paar Jahre Knast für den Mann zu fordern, sondern immer noch der vorgestellte Polizeipräsident bzw. die imaginierte Polizeipräsidentin, Sie lebten außerdem in einem Land, in dem es nicht nur Elche in freier Wildbahn gibt, sondern in dem auch Polizisten, die ein Verhalten wie das beschriebene an den Tag legen, ganz leicht entlassen werden können.

Stellen Sie sich bitte weiterhin vor, Sie genössen gerade Ihren letzten Urlaubsabend und Ihr Stellvertreter hätte soeben telefonisch mit den oben zitierten Worten einen in Ihrem Büro eingegangenen Bericht für Sie zusammengefasst –  in aller Eile, weil er selber leider noch einige dringende Vorbereitungen für seinen eigenen, am nächsten Tag beginnenden, Urlaub zu treffen und daher für ein eingehendes Studium des Berichts keine Zeit mehr hatte; Ihr Stellvertreter hätte noch hinzugefügt, der Fall sei wahrscheinlich ziemlich klar, und da das betreffende Polizeidezernat auf eine eilige Entscheidung dränge, habe er für alle Fälle “den Rest” schon einmal veranlasst.

Stellen Sie sich nun vor, Sie wären wieder in Ihrem Büro und fänden ein nur noch zu unterzeichnendes Entlassungschreiben und daneben den erwähnten Bericht über den Polizisten auf Ihrem Büroschreibtisch. Stellen Sie sich vor, Sie erführen aus diesem nun neben zahlreichen, das bereits mündlich Berichtete bestätigenden Details unter anderem, dass der Name des erwähnten bedrohten Schwiegervaters mit dem Ihres fernen Vaters identisch ist. Stellen Sie sich bitte außerdem vor, Ihnen ginge kurz nach der Lektüre des Berichts plötzlich auf, dass der Vater des Polizisten hingegen mit großer Wahrscheinlichkeit der Vorsitzende der wichtigsten Oppositionspartei im Regionalparlament und ein erbitterter Gegner Ihres Vorgesetzten, des Innenministers, sein dürfte, mit dem Sie inzwischen unleugbar eine enge Freundschaft verbindet. Angenommen, Sie hätten am Vorabend bereits zur Entlassung des Polizisten geneigt: würden Sie nun doch vor einer Unterschrift zurückschrecken, weil Sie sich auf keinen Fall dem Vorwurf aussetzen wollen, Sie würden – um es einmal in den Worten des Welt-Journalisten Alan Posener auszudrücken – “kaum”, dass Sie “selbst einen Zipfel der Macht ergattert” haben, diesen benutzen, “um ihre privaten Interessen zu befördern – in diesem Fall das kleinliche private Interesse, einen Mann beruflich zu ruinieren, der ihrer Schwester wehgetan hatte”? Würden Sie – unter der zusätzlichen Annahme, es wäre Wahlkampfzeit und es wären bereits mehrere kleine Schmutzkampagnen gegen Ihren Freund, den Innenminister, im Gange – sogar in Kauf nehmen, dass die in ihrer Mehrzahl der gegnerischen Partei Schützenhilfe leistenden regionalen und nationalen Medien – um es mit Alan Posener zu sagen – “die von niemandem bestrittene Tatsache seiner persönlichen Integrität” nunmehr wirksam in Zweifel zu ziehen in der Lage wären, und durch die Entlassung des Polizisten möglicherweise den Ruf des Innenministers bei zahlreichen schwankenden Wählern beeinträchtigen und damit eventuell auch dessen keineswegs sicheren Aussichten auf einen Sieg bei den bevorstehenden Wahlen?

Würden Sie also Ihre Entscheidung, die unter der Voraussetzung, dass die Dinge so lagen, wie Ihr Stellvertreter Sie Ihnen am Vorabend in aller Eile geschildert hatte, bereits zu Ungunsten des Polizisten ausgefallen war, jetzt revidieren? Oder würden sie nach kurzem Zögern das Kündigungsschreiben unterzeichnen, weil es – unabhängig davon, inwieweit Ihre eigenen Familienangehörigen von den Handlungen des Polizisten betroffen waren – Ihres Erachtens einfach richtig wäre, einen Polizisten zu entlassen, der sich wiederholt derartiger Verfehlungen schuldig gemacht hat und, wenn überhaupt, erst später von leichten Zweifeln geplagt werden, ob Ihre Entscheidung auch im Sinne des “Ansehen des Staates”, richtig gewesen war, das, während dieses – seiner Ansicht nach – durch das Verhalten des erwähnten Polizisten wohl nicht sonderlich leiden würde, für den zitierten Journalisten Alan Posener allerdings an oberster Stelle zu stehen hat, der unter der Schlagzeile

Sarah Palin hat den Ruf von McCain ruiniert

unter anderem die folgenden Sentenzen aussprach?

Hat Sarah Palin ihr Amt als Gouverneurin von Alaska missbraucht? Sagen wir es so: Sie hat ihr Amt und ihren Einfluss gebraucht, um eine private Vendetta [!] gegen ihren Ex-Schwager durchzuführen. Sie hat ihrem Mann gestattet, von ihrem Büro aus Staatsbeamte unter Duck [sic] zu setzen, damit sie diesen Ex-Schwager – einen Polizisten – entlassen. Sie hat einen unbequemen Beamten gefeuert, der ihr klar gemacht hat, dass ihre Methoden illegal [!] waren und dem Ansehen des Staates schadeten. Das kann man Amtsmissbrauch nennen. Man kann auch bösere Worte dafür finden.

Und der dann nicht nur mehr lange nach böseren Worten suchen musste, sondern sie auch gleich herzeigte?

Will man einen Menschen mit einem solchen Charakter im Weißen Haus sehen? John McCains größtes Plus in dieser Kampagne war die von niemandem bestrittene Tatsache seiner persönlichen Integrität. Palin hat diesen Ruf ruiniert.

Und der solches anscheinend tat, indem er sich einfach nur zum einen auf die vorherrschende antiamerikanische Meinung in Deutschland (da denken alle immer nur an sich und nutzen arrogant ihre Macht aus, wo sie nur können) und zum anderen auf einen Bericht einer parlamentarischen Untersuchungskommission in Alaska stützte – auf einen Bericht von der Art also, der einem kommentierenden Besucher des Weblogs Little Grenn Footballs zufolge durchaus so viel wert sein kann, dass man für ihn, sofern man noch 1,85 Dollar hinzulegt, in bestimmten amerikanischen Restaurants eine Tasse mit Kaffee darin vorgesetzt bekommt, die einem ohne Zuzahlung so oft wiederaufgefüllt wird, wie es einem beliebt -, auf einen Bericht, in dem, wie sich aus Medienberichten einwandfrei schließen lässt, entweder festgestellt wurde, die amerikanische Vizepräsidentschaftskandidatin Sarah Palin habe als Gouverneurin von Alaska “unrechtmäßig” (Yahoo! News, 10.10.) jemanden entlassen, oder aber, dass sie dies “gesetzeskonform” (Wikipedia, 11.10.) getan habe -, wobei eine Art Familienzwist “nicht der einzige Grund” für die Entlassung gewesen sei, sondern wahrscheinlich, wahrscheinlich, “wahrscheinlich ein dazu beitragender Faktor”?

Oder, noch einmal anders gefragt: würden Sie als Polizeipräsident bzw. -präsidentin sich in Ihrer Entscheidung von der Denkweise eines Journalisten beeinflussen lassen, der einer US-amerikanischen Frau bereits zuvor unter die Gürtellinie geschmiert hatte, “I had a dream about Sarah Palin. Not what you think. I’m not that desperate…“, und zum Abschluss einer klitzekleinen Rufschädigungs-Vendetta gegen Sarah Palin noch ein spezielles Extra-Geschütz für Moralisten wie diese olle scheinheilige christliche Palin auffährt? Ein Geschütz wie das folgende?

Ein großer jüdischer Morallehrer kritisierte einmal die Menschen, die sich mit ihrer Moralität brüsten: „Also scheinet auch ihr von außen zwar gerecht vor den Menschen, von innen aber seid ihr voll Heuchelei und Gesetzlosigkeit.“ Er hieß Jesus von Nazareth, und sein Geist ist am wenigsten bei denen zu finden, die mit der Religion Wahlkampf machen.

Stellen Sie sich nun meinetwegen noch vor, Sie hätten sich überhaupt nicht mit Ihren Geschwistern und Ihrer Familie entzweit. Würden Sie jetzt anders entscheiden, Frau Präsidentin/Herr Präsident? Oder würden Sie sich eventuell nur vornehmen, falls sich einmal die Gelegenheit dazu bieten sollte, Alan Posener zu fragen, was denn damals mit ihm los gewesen sei, ob Sarah Palin vielleicht irgendwie mal seiner Schwester wehgetan hätte – im Sandkasten oder so -, die Welt sei schließlich klein? Oder würden Sie ihn eher fragen, ob er damals nicht selber auch ein bisschen von religiösem Eifer beseelt gewesen sei, da er zwar nicht ganz so wild wie der islamistische Ayatollah Khomenei – der unseres Wissens das Wort Islamophobie wenn nicht erfand, so doch mit Macht in Umlauf brachte -, aber immerhin doch einigermaßen blind behauptet habe, eine furchterregende “vagabundierende Islamophobie” suche “ihre Beispiele – und verdrängt, was nicht ins Bild passt, so z.B. das Massaker von Srebrenica, bei dem Christen Muslime in Europa unter den Augen der Weltöffentlichkeit hinschlachteten”, während es sich unseres Wissens auch den Behauptungen z.B. des entsprechenden “Kriegsverbrechertribunals” in Den Haag bei den Getöteten, wenn nicht gar um bewaffnete, ausschließlich um Männer im, wie man so sagt, wehrfähigen Alter gehandelt hatte, von denen möglicherweise doch einige sich zuvor ethnischer Säuberungen und Massakern gegen Christen (Serben) – und zwar ungeachtet von deren Wehrfähigkeit – “verdient gemacht” haben könnten, wofür man sich in Den Haag aber nicht sonderlich interessieren durfte und darf, und wobei nicht einmal ganz sicher zu sein scheint, ob alle auch wirklich von serbischen Männern (oder Soldaten) getötet wurden. Und ob Posener vielleicht deswegen so religiös auf Sarah Palin eindreschen musste, weil sie die einzige unter den Hauptkandidaten der US-Präsidentschaftswahlen war, die (unseres Wissens noch) nicht durch die Äußerung von auch ganz weit im Westen inzwischen zum Standard gewordenen antiserbischen Glaubensbekenntnissen und Absichtsbekundungen aufgefallen war, die zuvor hauptsächlich deutsche, österreichische und moslemische gewesen waren, und möglicherweise auf Grund ihrer realpolitischen Unerfahrenheit, sprich: ihrer erfrischenden Unvoreingenommenheit, einmal mit Macht ausgestattet, zu einem gefährlichen Exemplar selbstsüchtiger “vagabundierender Islamophobie” hätte werden können, weswegen sie dann zu einem geeigneten, weil doch in jedem Fall eines angeblich religiösen Wahlkampfs schuldigen, Sündenbock für die inzwischen absehbare Wahlniederlage des kleineren Übels werden konnte. Zumindest für den Alan, als er einmal ganz ganz nötig, sich mit einer Hand am Rockzipfel der “natürlich” antiserbischen und mittlerweile auch etwas linker und antiamerikanischer gewordenen deutschen Mutter “Welt” (oder, sorry, eventuell war’s auch die “Welt am Sonntag”) haltend gegen Sarah Palin pullern musste.

[Ergänzt am 28.12.2008]

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