Präsidentschaftswahlen in Arafatistan [nichts Neues]

Zwischenbericht über die Erfolge der Kampagne Luisa Morgantinis für ihren Kandidaten, den (mindestens) fünffachen Mörder Marwan Barghouti oder: Die Mandela-Option – von Ralph Raschen

“Allerliebste Luisa,
wir von der israelischen Bewegung Frauen für den Frieden wünschen Dir Erfolg bei den nächsten Wahlen. Wir wissen, dass Du die beste Kandidatin bist, und gewiss bist Du unsere Favoritin! Wenn es uns erlaubt wäre zu wählen, würdest Du einstimmig gewählt werden!!!
Herzlich und mit vielen Glückwünschen von all Deinen zahlreichen Freundinnen und Verbündeten in Israel
Gila Svirsky
– Mitglied und Mitbegründerin der Koalition der Frauen für den Frieden
– Mitglied des B’Tselem-Präsidiums
– Frauen in Schwarz, Israel
– Koalition der Frauen für den Frieden [sic, doppelt genäht]”

Homepage von Luisa Morgantini

“Alle Friedensorganisationen und Freiheitskämpfer in Palästina und in Israel sind dieser Frau dankbar, die für sie die Inkarnation dessen bildet, was es an Positivem im Europäischen Parlament gibt. In der Tat habe ich einmal eine europäische Delegation getroffen, die mir gestand, dass sie zwar Angst davor habe, in Krisenperioden wie diesen nach Israel zu kommen, es aber nicht ertragen könne, dass das gesamte Europäische Parlament für viele Israelis und Palästinenser in Luisa Morgantini verkörpert sei.”

Nurit Peled, ebenda

Selbstverständlich war auch sie, die langjährige linkseuropäische Arafatvertraute Luisa Morgantini bei der Beerdigung des Rais dabei. Und wohl weil sie nicht nur als ehemalige “Vorsitzende der Delegation [des Europaparlaments] für die Beziehungen zum Palästinensischen Legislativrat”, sondern auch als “denkendes Herz in Europa” (Morgantini über Morgantini), wo immer sie auch gehen oder stehen mag, stets mindestens mit den Armen in der Luft rudert, um für den Frieden zu wirken, gab es dort – außer Arafat – keine weiteren Toten. Die deutsche Jungle World schrieb wenig später, eigentlich sei es “zwei Tage nach der chaotischen Beerdigung des Palästinenserführers in Ramallah erstaunlich ruhig. Die befürchteten gewalttätigen Demonstrationen sind ausgeblieben, von einem Bürgerkrieg kann keine Rede sein. […] Arafat musste wohl erst sterben, bevor die politischen Institutionen der Palästinenser ihre Funktionsfähigkeit unter Beweis stellen konnten”, und zeigte damit, dass sie noch nie etwas von Luisa Morgantini gehört hatte, obwohl man sie kürzlich sogar in einem von einem deutschen Fernsehsender ausgestrahlten Bericht beobachten konnte, wie sie in einer auf der Beerdigung entstandenen Paniksituation, in der einige anscheinend bewaffnete Männer zu rennen anfingen, mit den Armen ruderte und dann nichts Schlimmes mehr passierte.

Was den Rest des Jungle World-Zitats betrifft, stimmt allerdings alles, denn tatsächlich gab es zwei Tage nach Arafats Beerdigung zwar noch zwei weitere, diesmal unnatürliche Tode, nämlich in den Reihen der zum Schutz des Fatah-Kandidaten für die Nachfolge Arafats, Mahmud Abbas (Abu Mazen), bereitgestellten Leibgarde von Mohammed Dahlan, einem Feind des Arafat-Clans, dem nachgesagt wird, er sei USA-freundlich, aber als solche waren sie in der Tat eigentlich kaum erwähnenswert, waren sie doch nur Nebenprodukte eines Ausdrucks der authentischen direkten Demokratie, wie sie im PA-(Vor-)Wahlkampf schon herrschte und der gegenüber das Leben Einzelner und noch dazu der Kollaboration mit den USA Verdächtiger selbstverständlich eine vernachlässigbare Größe ist. Mahmud Abbas selbst ließen die Wahlkämpfer dennoch großzügig am Leben. Sie begnügten sich damit, “ihre Präferenzen” auch ohne dessen Tötung “klar zum Ausdruck” zu bringen, indem sie zunächst einfach nur riefen: “‘Nein zu Abu Mazen!’ ‘Nein zu Dahlan’, […] ‘Arafat lebt!'”.

Schließlich war der Vorwahlkampf ihrer Bewegung nicht ausschließlich auf das Westjordanland und Gaza beschränkt: auch auf einer “Trauer”-Demonstration in Rom wurde auf Transparenten die Freilassung des ehemaligen Anführers der Tansim-Milizen, des Finanziers und Mandanten mehrerer Terrorattentate in Israel und Arafat-Getreuen Marwan Barghouti gefordert, der wegen fünffachen Mordes zu lebenslänglicher Haft verurteilt in einem israelischen Gefängnis einsitzt. Denn auch diesseits des Mittelmeers hatte sich so manches Herz in Gedanken auf den zu erwartenden Wahlkampf vorbereitet, darunter selbstverständlich auch eine sehr besorgte Luisa Morgantini.

“Viele denken aus Angst vor dem möglichen Tod Arafats mit politischer Reife an die Möglichkeiten, die sich für die Demokratie in Palästina ergeben: nicht ein Mann und ein Symbol, sondern eine demokratische Führung”, schrieb sie Anfang November in der Zeitung von Rifondazione Comunista, Liberazione. Wobei sie unbescheiden signalisierte, dass sie und ihre Mitstreiter zum Kampf gegen das Imperium bereit waren: “Es bedarf der ganzen Mobilisierung und eines Europas, das nicht den Spuren Bushs folgt. Das ist nicht wenig. Aber wir versuchen es.”

Irgendwie passend dazu verkündete der scheidende EU-Kommissionsvorsitzende Romano Prodi dann gleich nach dem Tode Arafats im Hinblick auf die Zeit danach: “Europa exportiert Demokratie!” Vermutlich hatte also auch er Morgantinis ganzseitigen Liberazione-Artikel begeistert aufgenommen, in dem sie betont hatte, sich nicht etwa “für einen Mann und ein Symbol, sondern für eine demokratische Führung” schlagen zu wollen, und das hieß für sie ganz einfach: für die Freilassung Barghoutis, für einen Mann und ein Symbol der Intifada. “Die Befreiung Marwans”, pulsierte das denkende Herz dort laut vernehmlich für die Demokratie in Person, “könnte angesichts der Unmöglichkeit, Sharon zur Aufnahme von Verhandlungen zu zwingen, ein Traum sein […] Die Kampagne auf internationaler Ebene zu lancieren, nicht zuzulassen, dass Marwan in seiner drei Quadratmeter großen fensterlosen Zelle verschimmelt, […] ist [!] ein Beitrag zum Erfolg der palästinensischen Führungsgruppe, die” – dann! – “in konsequenter Art und Weise neu darüber wird nachdenken müssen, welche Strategie sie anwenden muss, damit der Traum und das Recht der Palästinenser auf ihren Staat verwirklicht wird. Es ist kein Zufall, dass die demokratischen Kräfte, die Intellektuellen und die mit Barghouti verbundenen ‘jungen’ Fatah-Leute sehr lautstark die Notwendigkeit sowohl nationaler als auch lokaler Wahlen beteuern”.

Indem Morgantini ihren Barghouti in die Waagschale warf, versuchte sie also, die Strategie der Fatah-Führung, auch auf die Gefahr hin, die Fatah selbst zu spalten, auf jeden Fall in ihrem, d.h. in Barghoutis, Sinne zu beeinflussen, d.h. in Richtung der Fortführung von Blutbädern in Israel. Und tatsächlich dürften gewisse ‘lautstarke Beteuerungen’, wie die oben erwähnten tödlichen Schüsse, durchaus eine Rolle dabei gespielt haben, dass Abu Mazen wenig später (um es dann – nach Arafat-Manier – einem Newsweek-Interviewer gegenüber wieder zurückzunehmen) ein Rückkehrrecht aller palästinensischen “Flüchtlinge” forderte, welches das baldige Ende Israels bedeuten würde. Dies würde das denkende Herz sicherlich auch ein wenig bluten lassen, aber andererseits würde es wahrscheinlich auch denken, dass die Israelis am Ende schließlich selber schuld daran waren, schießen die doch z.B., wie Morgantini vor ein paar Jahren dem Espresso erklärte, u. a. dauernd einfach so “auf Journalisten und verletzen sie, sie schießen auf Priester und töten sie, sie schießen auf unbewaffnete Pazifisten und Nonnen und verletzen sie. Sie schießen auf Frauen, Kinder, alte Leute und unbewaffnete Männer und töten sie”.

Wohl auch, weil sie sich auch selbst den von ihr genannten Risikogruppen zurechnet, gibt sie den Widerstand nie auf, und wirft sich den Israelis in den Weg, wann immer sie kann, und so auch diesmal wieder. Kurz nach den ersten beiden bislang bekannt gewordenen klaren palästinensischen Vorwahlkampfstatements gegen Mahmud Abbas – ein anderes, noch nicht erwähntes, hatte u. a. darin bestanden, dass sein Auto im Gazastreifen in Flammen aufging – und nach der frohen Botschaft Prodis bezüglich des europäischen Demokratieexports griff sie zum Telefonhörer und kündigte dem Corriere della Sera eine “sensationelle Enthüllung der Al-Aksa-Brigaden” an. Auf Bitten einiger “Al-Aksa-Briganden” [sic] habe sie bereits alles für dieses Treffen arrangiert.

Ein Journalist der Zeitung solle sich umgehend auf dem Flughafen Fiumicino einfinden, die Flugtickets dafür seien eben beim Pförtner des Corriere hinterlegt worden, der Journalist brauche also nur den entsprechenden Flug zu nehmen, für alles Übrige sei gesorgt, die Zeit sei jedoch knapp, der Flug gehe in drei Stunden. Dann legte sie auf.
Nicht allzu sehr im Einklang mit einem kürzlich von Morgantini veröffentlichten Buch mit dem Titel “Jenseits des Totentanzes” entpuppte sich der Ort, an den der Journalist schließlich geführt wurde, als ein Friedhof.

Hier einige Auszüge aus seinem Bericht:

“Ein Nönnchen in Weiß läuft an dem Gürtel der christlichen Gräber entlang. Es lächelt, setzt seinen Weg fort. Es hat verstanden, dass wir nicht zum Beten hier sind. Vielleicht weiß es schon, wie oft man sich den Rücken frei halten muss, wenn man zu Verabredungen wie diesen kommt: Zwei an weit von den Checkpoints entfernten Übergängen genommene Autos, ein Autowechsel unweit der Geburtskirche, eine schnelle Runde im wegen der Trauer um Arafat noch geschlossenen und nur von einer japanischen Touristengruppe durchkämmten Bethlehem, drei Maurer auf einem Gerüst, die Schmiere stehen. Das Warten, im Sitzen auf dem Bauschutt eines für neue Grabnischen bereiten Kolumbariums, ist von kurzer Dauer.”

Das Merkwürdige an dem Treffen bestand darin, dass plötzlich eine in eine Burka gehüllte Person erschien: “Zwischen den Grabsteinen. Sie bleibt stehen, tritt nervös auf den Zement: ‘Nur eine Viertelstunde’ gesteht sie zu”. Und zur großen Überraschung des Interviewers verbarg sich, jedenfalls der Stimme nach zu urteilen, tatsächlich eine Frau unter der Burka, die zudem fließend Italienisch sprach.

Handelte es sich vielleicht um Morgantini selber, die so ihre volle Verbundenheit mit den Al-Aksa-Brigaden im Kampf für die Freilassung Barghoutis unterstreichen wollte? Unglaublich! Bevor er die Frau um eine Erklärung bitten konnte, forderte sie den Journalisten jedoch schon barsch auf, keine Fragen bezüglich ihrer Nationalität und ihres Geschlechts zu stellen. Sie dürfe ihm nur mitteilen, dass ihr Vorgänger bei einer internen Abstimmung schwer verletzt worden sei, deswegen sei sie nun die neu gekürte “Interim-Sprecherin der Al-Aksa-Abu-Ammar-Brigaden für Europa und das Volk der USA”, und sie werde hier jetzt nur Fragen zur Strategie der Al-Aksa-Abu-Ammar-Brigaden hören und damit basta. Andernfalls könnte es für ihn äußerst unangenehm werden: unter ihrer Burka habe nämlich nicht nur ein Sprengstoffgürtel Platz. Bei letzteren Worten lächelte der junge Mann, der den Journalisten zum Friedhof geleitet hatte, maliziös und trat einige Schritte zurück.

Der Journalist schoss also, wenngleich er auf Grund seines Verdachts, bei der Frau könne es sich tatsächlich um die ehemalige Vorsitzende der EU-Delegation handeln, für ein paar Sekunden wie gelähmt war, vorsichtigerweise schnell mit einer der Burka wahrscheinlich genehmen allgemeinen Frage los: “Was ist Ihre Strategie in der Fatah-Partei?” Die Antwort: “Für uns ist es sehr wichtig, einen Führer zu haben, wir wollen nicht, dass die Fatah in dieser Phase ausgegrenzt wird. Faruk Kaddoumi [der neue Vorsitzende des Fatah-Zentralkomitees, ein erklärter Gegner des Oslo-Abkommens; d. Verf.] ist besser als Abu Mazen, aber wir ziehen einen vor, der hier gewesen ist und aus dem Innern der Bewegung kommt.” Wen? “Die Al-Aksa-Abu-Ammar-Brigaden haben beschlossen, dass sie bei den Präsidentschaftswahlen Marwan Barghouti unterstützen werden. Wir sind gegen Abu Mazen. Wenn er gewählt wird, werden wir an dieser Art Führung nicht teilnehmen.”

Schließlich, so fügte die Burka hinzu, werde der auch von der ehemaligen Vorsitzenden der EU-Parlamentsdelegation für die Beziehungen zum palästinensischen Legislativrat unterstützt, und zwar aus dem selben Grund: “Marwan”, zitierte die Burka plötzlich die italienische EU-Parlamentsabgeordnete, “hat nie als ein von Außen zurückgekehrter Führer gegolten, niemandem hatte er je als ‘Bürokrat’ gegolten”.

Der Journalist sagte still bei sich: “piuccheperfetto…”; denn auch er hatte den Artikel gelesen und ihm war erneut aufgefallen, dass Morgantini dort, ebenso wie jetzt die Burka, grammatikalisch unperfekt, im letzten Satz das Plusquamperfekt benutzt hatte, das im Italienischen piuccheperfetto heißt: wörtlich eben “mehr-als-perfekt”. Sie muss total in ihn verknallt sein, dachte er bei sich.
Die Burka räusperte sich laut.

Mein Gott! dachte der Journalist. In der Burka, in Hüfthöhe, schien sich etwas zu bewegen … Er sah sich nach seinem Begleiter um: in dessen Augen blitzte es, dann wich dieser noch zwei Schritte weiter zurück.

Wenn er wirklich nicht träumte und sich unter der Burka wirklich die alte Judenfresserin Morgantini verbarg, dann musste sie über die genauen Schlachtpläne der Al-Aksa-Brigaden weitgehend im Bilde sein, also fragte der Journalist die Frau schnell: “Warum schicken Sie in dieser Phase keine Kamikaze-Attentäter? Ist das eine Strategie oder sind Sie in Schwierigkeiten?”

Darauf antwortete die Burka aber nur besonders trocken: “Es ist eine Strategie. Mehr kann ich nicht erklären.”
Das kannst du nicht? dachte der Journalist bei sich. Das kannst du, du willst es nur nicht! Du bist die Morgantini, und die Aussendung allzu vieler Selbstmordterroristen könnte derzeit der “ganzen Mobilisierung” Europas für die Freilassung deines Lieblings wohl nicht ganz zuträglich sein. Schließlich gilt er zahlreichen Provinzzeitungen in aller Welt als der ‘Nelson Mandela Palästinas’, obwohl der, soweit ich mich entsinne, nie darauf abzielte, möglichst viele weiße Zivilisten oder gar Kindergartenkinder zu töten!
Unter der Burka schnarrte es laut.
Erneut zuckte es in ihr in Hüfthöhe.

Auch der Journalist wich jetzt einen Schritt zurück und fragte sie dann schnell: “Befürchten Sie, dass Abu Mazen die Intifada stoppt?” “Ja, das befürchten wir”, gellte die Burka plötzlich aggressiv. “Abu Mazen ist eine mysteriöse Figur, nur um den Erhalt seiner Macht besorgt.” Sie begann zu schreien: “Er hat bereits viele Male versucht, die Al-Aksa-Brigaden zu stoppen. Er ist ein korrupter Mann, wie Abu Ala”.

Jetzt, da die Burka genau so sprach wie Morgantini, wenn sie sich über Sharon erzürnte, hegte der Journalist nicht den geringsten Zweifel mehr, dass sie es war.
Sie schwieg nun eine Weile, fast so als fühlte sie sich ertappt, und begann dann in ruhigerem Ton, diesmal jedoch ohne Quellenangabe, erneut aus dem Liberazione-Kampagnenaufruf Morgantinis zu zitieren. “Marwan war immer auf der Seite Arafats, aber gemeinsam mit den Fatah-Jugendlichen (jetzt sind sie nicht mehr jugendlich, sie sind alle älter als vierzig Jahre), darunter Kadura Fares, Ahmed Gneim und andere, sehr kritisch.

Frei von Korruptionsvorwürfen – im Gegenteil, gemeinsam mit anderen, nicht nur aus der Fatah, wie Azmi Swhaibi […] -, war Marwan Promotor der Untersuchungskommission zur Überprüfung der Vergehen in der Palästinenserbehörde im Palästinensischen Legislativrat, in den er 1996 mit der Bestnote gewählt wurde.” Damit hatte die Burka einen weiteren liebevollen kleinen Lapsus Morgantinis wiedergegeben, die zwar durchaus “einstimmig” gemeint, weil es zur politischen Reife, die man auf italienisch auch als “politisches Abitur” lesen konnte, nun mal so gut passte, aber nach dem Wort “Bestnote” gegriffen hatte.

Dann schwieg die Burka eine Weile. Der Journalist suchte nach einer neuen Frage. Währenddessen zischte die Burka jedoch schon: “Wir wollen Abu Mazen töten”, wandte sich um, hoppelte davon und verschwand erneut hinter den Grabsteinen. Und auch der Begleiter machte sich davon.
Der Journalist wollte sich nun auch umdrehen, um in der entgegen gesetzten Richtung zu verschwinden, plötzlich hörte er jedoch einen scharfen Pfiff aus der Richtung, in der die Burka verschwunden war. Tatsächlich lugte sie jetzt noch einmal über einem der Grabsteine hervor und rief: “Meine Identität als Frau und Italienerin bleibt gut verwurzelt, ich weiß, dass es in unserem Land viele Probleme gibt, aber zugleich fühle ich die Notwendigkeit und die Dringlichkeit, aus den eigenen Grenzen herauszutreten. In dieser globalen Welt betrifft uns jedes Ereignis.”

Sie ist es, dachte der Journalist betroffen.
Traurig aber wahr: Tatsächlich deutet vieles darauf hin, dass es sich, wenngleich sie ihr Gewand keine Sekunde lüftete, bei der verhüllten Gestalt auf dem Friedhof in oder nahe Bethlehem um Luisa Morgantini gehandelt haben muss, um jene grenzenlose Frau also, die zuvor schon einmal im EU-Parlament in einer – wahrscheinlich der selben – Burka aufgetreten war und derzufolge, wie ihrem Bericht “für die Kommission für auswärtige Angelegenheiten, Menschenrechte, gemeinsame Sicherheit und Verteidigungspolitik” anlässlich der “interparlamentarischen Zusammenkauft Europäisches Parlament/Palästinensischer Legislativrat” am 25./26. März 2002 – fünf Tage nach einem von Arafat angeordneten Al-Aksa-Brigaden-Selbstmordanschlag im Zentrum Jerusalems – zu entnehmen ist, der “Teufelskreis der Gewalt nur dadurch unterbrochen werden kann, dass der Besatzung seitens Israel ein Ende gesetzt wird”, also ganz unabhängig von der Beendigung des Terrors gegen israelische Zivilisten ist.

Wobei der Schlüssel zur Erklärung ihres ‘Identitätszuwachses’ vor allem in dem liegt, was sie in der Liberazione als den Antrieb für ihr (und Europas) “politisches Abitur” beschrieb: in der Höllenangst, mit dem Tode Arafats könne der Terror gegen die ‘unbeugsamen’ Israelis zu Ende gehen, der selben Angst eben, aus der sie auch ihren “eisernen Willen” zur Unterstützung der Palästinenser (Elmar Brok, CDU, ein ehemaliges Mitglied ihrer Delegation) schöpft und ihre stets knallharten Forderungen an die Juden ableitet.

Nachdem Barghouti sich nach mehreren Ja-ich-kandidiere-Hins und Nein-ich-kandidiere-doch-nicht-Hers und einem Arrangement mit Mahmud Abbas vorübergehend entschieden hatte, doch nicht mehr zu kandidieren, charakterisierte Fiamma Nirenstein seine Stärke so: “Die Al-Aksa-Brigaden haben der Hamas Konkurrenz gemacht, und Barghouti erlebten die Medien als ein Rassepferd, das auch Arafat zum Trotz ins Rennen geht, in Wirklichkeit jedoch hatte seine Verbindung zur Führung Vorrang. So ist es auch heute: Nachdem Abu Mazen de facto auch von einem bedeutenden Teil der Tansim-Milizen und der Brigaden zum Al-Fatah-Kandidaten gewählt wurde, hat Barghouti, der Rebell, eine Kandidatur zurückgezogen, für die er bereits fünftausend reguläre Unterschriften gesammelt hatte, und dies ebnet in der gegenwärtigen Phase nicht wenig den Weg eines Führers, gegen den die Jungen sich auflehnen, denen die vollständigen ‘Tunesier’ wie Abu Mazen verhasst sind. Bevor er seine Entscheidung traf, sprach Barghouti vier volle Stunden lang im Gefängnis mit seinem rechten Arm, Kadura Fares, der ihn bat, die delikate Übergangsphase in der Palästinensischen Autonomiebehörde nicht zu behindern. In dem Gespräch durch die Gefängnisgitter scheinen zwei Themen vertieft worden zu sein. Das erste: das politische ‘Entgelt, das Barghouti in Form von Männern und der Linie für seinen Verzicht auf die offene Konfrontation mit Abu Mazen erhalten wird. Das zweite: Der 4. August, an dem mittels interner Wahlen Hand an die Machthochburg des Rais’, d.h. an die Al-Fatah-Spitze, gelegt werden wird.” Mittels Wahlen also, für die auch Morgantini mit ihrem europäischen Demokratieexport kämpft, damit der (Selbstmord-)Terror gegen die Juden und ihren Staat auch eine Zukunft hat. Was die überwältigende Mehrheit der Israelis, ca. 80%, d.h. wahrscheinlich so gut wie alle außer den Arabern, ablehnt, die Freilassung des mehrfachen Mörders, so denkt das Herz wahrscheinlich, kann für meine Demokratie und für Europa nur gut sein..

Sollte die mysteriöse Person auf dem Friedhof in oder nahe Bethlehem also doch nicht Morgantini (oder Romano Prodi) gewesen sein, sondern, wie der Corriere wirklich schrieb, ein 29-jähriger Mann, der gar keine komische Burka anhatte, sondern “eine schwarze ‘DFN’-Jacke”, ein Mann mit “einem schwarzen Kopfschützer, faulen Zähnen, Narben am Hals” und einer Pistole, die “eng an die Seite der Jeans geschnallt” war, und wenn wir das “er” in den dem Corriere entnommenen Zitaten hier stets durch ein “sie” ersetzt haben, dann hätte sie jedenfalls ebenso gut dort stehen können.

Alle denkenden Herzen in Europa können also beruhigt sein. Arafat lebt wirklich noch, und zwar zuallererst in einem feinfühlig denkenden Herzen namens Morgantini, das in einer Kampagne für die Freilassung eines Judenmörders anscheinend eine neue klasse Gelegenheit wittert, sich ebenso großartig zu fühlen wie der leibhaftige Rais selber, indem möglichst viele Juden nachhaltig gequält und die Palästinenser dabei weiterhin zu jenem geschundenen Märtyrervolk stilisiert werden, denen von den Israelis und den USA noch immer das demokratische Recht auf einen Staat mit einem in Freiheit Juden ermorden lassenden Präsidenten an seiner Spitze verwehrt wird. Erschreckend ist außerdem, dass Barghouti, Morgantini und die Al-Aksa-Brigaden (und die EU) bei ihrer Kampagne – in Schweden – sogar eine Mitstreiterin in der Schriftstellerin Cordelia Edvardson, einer “Halbjüdin”, haben, die ihrer Ermordung durch die zahlreichen historischen Vorreiter der ehemaligen Delegationsvorsitzenden des EU-Parlaments und Marwan Barghoutis durch viel Glück knapp entkam.
Vielleicht jedoch erwies das denkende Herz seinen Todfeinden mit seiner Kampagne sogar erstmalig einen Dienst. Nachdem ihr Genosse Michele Giorgio von der Zeitung il manifesto sich zunächst über den Demokratiefortschritt gefreut hatte, musste er am 3. Dezember mit Schrecken feststellen, dass die Kandidatur Barghoutis in der Fatah mit weniger Enthusiasmus aufgenommen wurde.

“Der Fall der Kandidatur Marwan Barghoutis lastet wie ein Felsblock auf den Wahlen, durch die am 9. Januar der neue Präsident der palästinensischen Autonomiebehörde bestimmt werden soll. Während die Zentrale Wahlkommission gestern die Liste der zehn Kandidaten in Ramallah bekannt gab – keine Frau, auch die Journalistin Majda Al-Batch wurde ausgeschlossen – feuerten die Spitzen eines Teils der Basisorganisationen von Al-Fatah äußerst harte Breitseiten gegen den Sekretär der Bewegung im Westjordanland ab. Jetzt verdichten sich Gerüchte um einen Ausschluss Barghoutis aus Al-Fatah. Eine Entfernung, die der erste Schritt zur Isolierung eines Führers wäre, der zweifellos einen schweren Fehler begangen hat, indem er kandidierte, nachdem er seinen Verzicht zugunsten des PLO-Führers Abu Mazen verkündet hatte, die jedoch zugleich wegen des starken Einflusses auf die Bevölkerung, insbesondere auf die neuen Generationen, die alte Garde in Angst versetzt. Die engsten Mitarbeiter Barghoutis und seine Ehefrau Fadwa haben erklärt, der ‘Kommandant der Intifada’ habe auf Druck der Al-Fatah-Spitze hin nur mit Widerwillen akzeptiert, beiseite zu treten, um nicht die Bestrebungen Abu Mazens zu durchkreuzen, der Israel und den Vereinigten Staaten genehm ist. Am Mittwoch hat sich Barghouti deshalb dazu entschlossen, all seine Karten auszuspielen, und zwar auch weil er davon überzeugt ist, dass der Erneuerungsprozess in Al-Fatah [sonst] nicht weitergehen würde, da die Wahlen innerhalb der Bewegung nicht, wie er verlangt hatte, auf die nächsten Wochen, sondern auf den August angesetzt wurden. […] Am offensten bei der Verurteilung war Zakaria Zubeide, Chef der bewaffneten Gruppe ‘Al-Aksa-Märtyrer-Brigaden’. ‘Er hat einen Fehler gemacht, auf diese Weise spaltet er die Bewegung, er muss zurücktreten’, erklärte der von Israel gesuchte Zubeide aus seinem Versteck in Jenin heraus. ‘Seine Frau und jene, die die Macht wollen, haben ihn schlecht beraten’, fügte er hinzu, ‘aber wir unterstützen Abu Mazen, den einzigen Kandidaten von Al Fatah.’ Die Kritik an Fadwa Barghouti, die sogar beschuldigt wurde, ihren Mann überredet zu haben, indem sie ihn hinters Licht geführt und ihn so dazu gedrängt habe, einen schweren politischen Fehler zu begehen, ließ deshalb nicht lange auf sich warten.” Hatte Morgantini, eine gute Freundin von ihr, die sich bislang stets darüber beklagt hatte, dass die Fadwa ihren Mann angeblich nur einmal besuchen durfte, sie vielleicht ihrerseits beraten?
Mittlerweile hat die Morgantinische Demokratie noch einen weiteren Rückschlag erlitten: “Das Militärgericht in Judäa hat Abdallah Barghouti (‘der Handwerker’) von der Hamas-Organisation zu einer 67fachen lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Barghouti hatte Bomben für Sprengstoffanschläge vorbereitet, bei denen 66 israelische Zivilisten getötet und Hunderte verletzt wurden. Abdallah Barghouti war u.a. an den Terroranschlägen auf das Restaurant ‘Sbarro’ in Jerusalem mit 15 Toten, auf die Hebräische Universität in Jerusalem mit neun Toten, auf das Café ‘Moment’ in Jerusalem mit elf Toten und auf den ‘Sheffield Club’ in Rishon Lezion mit 15 Toten beteiligt. Für den Bau der Bomben erhielt Abdallah Barghouti 117.000 Dollar von der Hamas-Organisation und 500 Dollar von seinem Verwandten und ehemaligen Anführer der Tanzim-Organisation, Marwan Barghouti.” Eine neue demokratische Kampagne Morgantinis dürfte mithin bald ins Haus stehen. Für den Zusammenschluss der Al-Aksa-Brigaden und der Hamas unter der Führung Barghoutis möglicherweise – mit Rifondazione Comunista. Besser wäre gewiss eine für die Zusammenlegung Morgantinis mit den beiden feinen Kerlen.

Veröffentlicht in: die jüdische, 5.1.2005.

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