In keinster Weise

Bei dem Ausdruck „in keinster Weise“ könnte es sich um die am rapidesten um sich greifende Sprachfehlerepidemie der letzten Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte handeln. Das lassen jedenfalls die dazu auffindbaren ca. 900.000 Google-Hits (Stand 29.11.2007) befürchten, selbst wenn es sich bei einem Teil derselben um kritische Betrachtungen handeln mag. Worin mag der Grund für eine derartige Popolarität dieses völlig falschen und im Vergleich etwa zu „absolut nicht“, das durchaus schon emphatisch genug ist – denn „relativ nicht“ wäre schließlich auch schon Quatsch –, außerdem viel hässlicheren „Spruches“ liegen?

Am meisten hiervon Ahnung haben dürften wohl die Bewohner der deutschen Kleinstadt Ebersbach an der Wahn (Hinterthüringen), die aufgrund der Partyleidenschaft ihrer Bewohner in aller Welt bekannt ist. Tatsächlich war es in Ebersbach, wo sich die Menschen zuerst massiv empörten, als der Ausdruck „in keinster Weise“ vehement um sich zu greifen begann. Zweifellos ist dies einer Ebersbacher Gewohnheit, nämlich eben deren bereits erwähnter Partyleidenschaft, sowie einem Zufall geschuldet. Wenn nämlich, a propos „keinster“, in Ebersbach in Hinterthüringen ein Ebersbacher zu einem anderen Ebersbacher sagt: „Zu der Party gestern ist übrigens Keinster hingegangen“, bekommt die bzw. der Angesprochene, sofern sie oder er nicht selber auch auf der Party war, erst einen Riesenschock und ärgert sich dann wochenlang schwarz. Das liegt daran, dass das Aufkreuzen des stadtbekannten Herbert Keinster auf einer Ebersbacher Party in Ebersbach das Synonym, der Indikator, der positiv ausgegangene Lackmustest schlechthin für eine Party ist, die jenen, die sie besucht haben, dank ihrer Gelungenheit unvergesslich bleiben wird, für eine Fünf-Sterne-Fete also. Denn dass der im Vergleich zu den übrigen Ebersbachern in Partydingen eher träge, weil außergewöhnlich anspruchsvolle und dank eigener Partyagenten immer bestens informierte Herbert Keinster auf einer bestimmten Party war, bedeutet stets, dass dieser, der zahllose SMS-Verbindungen unterhält, über die er in Nullkommanichts hunderte anderer passionierter Partygänger „aktivieren“ kann, auch tausend andere schnell zu der Party eingeladen haben wird, damit so viele Ebersbacher und selbstverständlich gern auch Auswärtige wie möglich an ihr teilhaben konnten. (Denn Herbert Keinster ist kein Egoist, sondern einer, dem es Spaß macht, andere an Genüssen, die er selber hat, partizipieren zu lassen – sogar wenn das schon mal einiges an SMS-Kosten mit sich bringt.) Und wer von einer Party nichts mitbekommen hat, auf der Herr Keinster war, dessen Handy war zu jenem Zeitpunkt denn wohl abgeschaltet oder hatte einen Defekt, oder andere Kommunikationskanäle waren unterbrochen oder er oder sie ist im fatalsten Fall sogar bei Herrn Keinster in Ungnade gefallen. Kurz, die oder der Betreffende hatte großes Pech.

Der Zufall hat es also so gewollt, dass man in Ebersbach so gut wie niemandem mit dem„Ausdruck“ in keinster Weise kommen kann, denn in Ebersbacher Ohren kommt dessen Bedeutung sogleich einem emphatischen „doch“ – und zwar eventuell noch mit dem Zusatz „und wie!“ oder „sehr sogar!“ versehen – gleich. In Ebersbach an der Wahn in Hinterthüringen, wo man für deutsche Verhältnisse dem Genuss und der Lebensfreude überdurchschnittlich stark zugewandt ist, wird man daher, wenn man etwa mit einer Aussage wie „Ich habe Sie vorgestern übrigens in keinster Weise beleidigen wollen!“ konfrontiert wird, eher schon zur Gewaltbereitschaft neigen denn dazu, sich beschwichtigen zu lassen und völlig beruhigt zu sein. In dem Wort keinster wittert man sogleich ein Mehr, eine Verstärkung, eine außergewöhnliche Steigerung der betreffenden Aussage, allerdings im positiven Sinne. Auf unser konkretes Beispiel bezogen, wäre es so, als hörte man den In-Keinster-Weise-Sager sagen: Klar doch wollte ich dich beleidigen, du Drecksau, und zwar ganz besonders und ganz besonders nachhaltig. Und um deine Demütigung noch effizienter zu gestalten, habe ich eben zusätzlich ein Wort gesteigert, das gar nicht gesteigert werden kann!

In Ebersbach an der Wahn, der partyfreundlichen Kleinstadt im Herzen Hinterthüringens weiß man gleich Bescheid, ohne lange nachdenken zu müssen, in Ebersbach an der Wahn weiß man, dass wer in keinster Weise sagt, nur „in ganz besonderer Weise“ meinen kann und dazu wahrscheinlich auch noch fies ist. Und damit auch, dass man einen derart im logischen wie im moralischen Sinne irreführenden Ausdruck besser nie benutzen noch jemals rechtfertigen sollte. Die Ebersbacher haben daher doppelt Glück, dass sie ihren berühmten Mitbürger Herrn Herbert Keinster haben, denn sie bekommen vor dem Jüngsten Sprachgericht, das am Ende ebenso sicher kommen wird wie der berühmte Partygänger Herbert Keinster, solang er nicht gestorben oder in Rio ist, zu jeder herausragend guten Party in der Stadt, und dem partymäßig nie auch nur irgendwas entgeht, so gut wie alle, alle außer den dort ohnehin recht dünn gesäten Vollidioten selbstverständlich, einen Freispruch. Was gewiss wesentlich erträglicher als das ist, was einem gewissen Herrn Bastian Sick blühen dürfte, der sich zu allem Unsinn irgendwo unter Spiegel Online sogar zu der Behauptung versteigt, bzw., richtiger: versteigert, bei in keinster Weise handle es sich um einen „Elativ, auch ‘absoluter Superlativ’ genannt“, der, ebenso wie „möglichst, gefälligst, baldigst, gütigst, herzlichst, mit freundlichsten Grüßen, in tiefster Trauer“ usw., „außer Konkurrenz“, „also ohne einen wirklichen Vergleich anzustellen“, verwendet werde, wo doch nicht nur jeder Ebersbacher, sondern, sei es auch nur intuitiv, schon jedes des Deutschen einigermaßen mächtige Kind erkennen dürfte, dass, Elativ hin, Konkurrenzfreiheit her, die von Herrn Sick genannte Ausnahmeregel vielleicht für Adjektive und Adverbien gelten mag, er aber – absichtlich oder unabsichtlich – übersieht, dass kein gar kein Adjektiv und kein steigerbares Adverb ist, sondern – jedenfalls noch einer nicht besonders alten Ausgabe der Duden-Grammatik zufolge – ein Pronomen (das für „nicht ein“ steht). Und Pronomen und – sollte einem gewieften Grammatiker noch eine andere Etikettierung von „kein“ einfallen – überhaupt alles andere als Adjektive und Adverbien lassen sich nun mal nicht steigern. Wozu auch, wenn nicht zum Zweck des transitiven Ganz-und-gar-Verblödens!

Falls Herr Sick also eventuell „nur“ bekannt geben wollte, dass die deutsche Sprache mittlerweile so großzügig geworden sei, dass man nunmehr ruhigen Gewissens nicht nur Adjektive, sondern von jeglicher Logik losgelöst selbst Pronomen, Artikel usw. „außer Konkurrenz“ steigern dürfe, ganzst egalst, was dabei für ein Schwachsinn herauskommt, dann darf er, wie jeder andere auch, derlei „Weistheiten“ heute zwar von jedweder „weltlichen Sprachjustiz“, die es ja nicht gibt, gänzlich unbehelligt und sogar via Spiegel massenhaft verbreiten. Aber, um es mit noch ein paar weiteren „Gruselelativen“ zu sagen: allerdingst sollte er sich sozusagen sehrst im Klarenst darüber sein, dass sich, dereinst vom Jüngsten Sprachgericht zur Rede gestellt, kein einzigster In-keinster-Weise-Sager möglicherweise auch noch in vollster Weise stotternst wird damit herausreden können, man habe damalst, als diese gefährlichste Sprachfehlerepidemie seit Menschengedenken immer rapider um sich zu greifen begann, ebenst nochst vonst garst nichtst gewusstst, und da irgendwannst sogarst das bekannte Wochenstmagazinst Der Spiegel inst Derst Spiegelst beziehungsweisest Spiegelst Onlinest umbenanntst wurdest, sei man sich spätestenst zu jenemst Zeitstpunktst hundertprozentigst sicherst gewesen, dass es sich um eine ordnungstgemäßte Reformst gehandelt habe, mit der es schon seine Richtigkeitst gehabt haben musste. Schließlich habe es auch schon vorher immer geheißen, Spiegel-Leser wissen mehr, und wenn man als solcher inzwischen sogar schon mehrst wusstste?

Nein, nicht einmal Otto-Normalstsprecher würde von den im Allgemeinen durchaus gnädigen Richterinnen und Richtern des Jüngsten Sprachgerichts in diesem Fall noch Gnade erwarten dürfen. Niemandem würde es daher etwas nützen, mittels eines Gestammels wie des oben angedeuteten zu suggerieren, die deutsche Sprache im Allgemeinen sei zu einem gewissen Zeitpunkt dermaßen von „Vergleichen außer Konkurrenz“ (Sick) verhunzt gewesen, dass niemand mehr dafür als Einzeltäter verantwortlich gemacht werden könne, es habe sich eben um eine Epidemie gehandelt, von der „außer Konkurrenzst eigentlichst jederst betroffenst“ sei, das hohe Gerichtst sehe ja, dass man noch immer diesen Riesendachschaden habe. Nein, das würde gar nichts nützen, und der Ärger, den man sich, sich auf solche Weise „krank im Kopf“ stellend, schon mit dem gepeinigten Gerichtsschreiber einhandeln würde, wäre von (sozusagen) demst, was einem danach noch (sozusagen) allest bevorstünde, vergleichsweise der geringste! Vom konkurrenzlos finsteren Schicksal des Herrn Sickst, pardon: Sick, ganz zu schweigen!

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